Präsident der Bundesärztekammer: Erst Hausarzt, dann Facharzt

Interview

Ärztepräsident Reinhardt:Erst zum Hausarzt, dann zum Facharzt

von Svenja Dohmeyer
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Wehwehchen hat das deutsche Gesundheitssystem viele - kann das Primärarztsystem da Beschwerdefreiheit schaffen und welche Chancen bietet KI?

27.05.2025, Sachsen, Leipzig: Ärztepräsident Klaus Reinhardt spricht zur Eröffnung des 129. Deutschen Ärztetags.
Im internationalen Vergleich gehen Deutsche ziemlich häufig zum Arzt – müssen jedoch zugleich lange auf Arzttermine warten. Das ist Thema auf dem Deutschen Ärztetag in Leipzig. 27.05.2025 | 1:43 min
Beim sogenannten Haus- oder Primärarztmodell wendet sich der Patient immer zuerst an den Hausarzt. Der koordiniert die Behandlung. Und überweist bei Bedarf an den Facharzt. Darüber spricht der Präsident der Bundesärztekammer Klaus Reinhardt im Vorfeld des 129. Deutschen Ärztetags in Leipzig im ZDFheute-Interview.
ZDFheute: Bei Fachärzten bekommt man aktuell kaum noch Termine, es gibt lange Wartezeiten oder sogar Aufnahmestopps. Wie bewerten Sie die derzeitige Lage?
Klaus Reinhardt: Wir müssen uns darüber Gedanken machen, warum wir uns trotz der hohen Zahl an Arztterminen, die Deutschland im internationalen Vergleich hat, in dieser Lage befinden. Aus unserer Sicht liegt es unter anderem daran, dass Menschen, die eine bestimmte Beschwerde haben, nicht wissen, welcher Fachrichtung sie ihre Beschwerde zuordnen sollen und sich häufig an jemanden wenden, der in dem Moment gar nicht der Richtige ist.
Diese überflüssigen Termine verhindern, jedenfalls in Teilen, dass man kurzfristig einen Termin bekommt. Das heißt, ein solches Primärarztsystem wäre, wenn es denn vernünftig und sinnvoll gestaltet ist, geeignet, den Zugang zum Gesundheitswesen besser zu organisieren.
27.05.2025, Sachsen, Dresden: Ein Hausarzt sitzt in einem Sprechzimmer seiner Hausarztpraxis an einem Schreibtisch neben einem Stethoskop und arbeitet am Computer. In Leipzig wird heute der 129. Deutsche Ärztetag eröffnet.
Die Menschen in Deutschland müssen oft monatelang auf einen Arzttermin warten. Patientensteuerung soll der Lösungsweg sein: erster Ansprechpartner soll die Hausarztpraxis sein.27.05.2025 | 1:43 min
ZDFheute: Wir haben das Primärarztsystem in Teilen schon auf freiwilliger Basis. Es hat damals nicht so gut funktioniert. Was soll jetzt anders werden, damit es gut funktioniert?

Das Primärarztsystem funktioniert sehr gut. Das Einzige, was noch nicht so funktioniert, ist eine flächendeckende Annahme dieses Modells durch die Patientinnen und Patienten.

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer

Reinhardt: Viele Menschen leben in der Vorstellung, dass der freie Zugang zu Gesundheitsleistungen ein für sie ganz wichtiger und immanenter ist. Ich glaube aber, wenn die Menschen die ärztliche Behandlung in einem Primärarztsystem erfahren, würden sie schnell merken, dass man sie passgenauer versorgen kann. Die Bereitschaft würde durch die gesammelte Erfahrung steigen.
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ZDFheute: Was sind die Vorteile des Primärarztsystems?
Reinhardt: Die Vorteile bestehen darin, dass ein Mensch, der ein unklares Beschwerdebild hat, sich zunächst an einen Hausarzt wendet und Grund und Ursache für diese Beschwerde erörtert. Dann wird festgestellt, wie die weitere Behandlung aussieht. Diese würde dann in Zusammenarbeit zwischen Haus- und Facharzt in einer für den Patienten viel passgenaueren Weise stattfinden können, als es aktuell der Fall ist.
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ZDFheute: Ein weiteres wichtiges Thema beim Ärztetag ist die Künstliche Intelligenz. Inwieweit findet in den Arztpraxen schon statt und wo kann sie gut helfen?
Reinhardt: Es gibt mannigfaltige Aspekte, in denen Künstliche Intelligenz in der medizinischen Versorgung helfen kann. Sie findet aktuell schon an vielen Stellen in den Arztpraxen statt, in dem zum Beispiel Systeme zugeschaltet werden, die aus dem ärztlichen Gespräch eine Anamnese oder einen Befund kreieren, der dann in der ärztlichen Dokumentation direkt auftaucht, sodass man ihn nicht noch mal händisch eingeben muss.
ZDFheute: Sie haben die administrativen Bereiche genannt, die KI könnte aber auch irgendwann in die ärztliche Bewertung mit einbezogen werden. Wo ist da die Grenze?
Reinhardt: KI kann zum Beispiel bei dem Zugang zum Gesundheitswesen hilfreich sein, KI ist anschaltbar zu allen Tageszeiten, es braucht nur Strom, es muss kein Mensch dasitzen, der etwas tut. So gibt es inzwischen sensationell programmierte Avatare, die ihnen auf Fragen, die sie stellen, als Patient mit bestimmten Beschwerden, relativ valide Antworten geben.
Dieser Aspekt der digitalen Ersteinschätzung ist ein Aspekt, der mit KI gut organisiert werden könnte und hilfreich sein kann bei der Bewältigung der großen Herausforderung des Fachkräftemangels.

Aber am Ende darf KI nur ein unterstützendes Element sein und kein ersetzendes.

Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer

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